Taiji: Es gibt so viele Stile wie es Lehrer gibt

Diesen Spruch habe ich schon öfter gehört und ich versuche gerade herauszufinden, wie es dazu kommt. Ich meine nicht die persönliche Note, die u.a. schon durch unterschiedliches Temperament und anatomische Konstitution bedingt ist, sondern wirkliche Unterschiede in der Form eines Stiles.
Ich nehme dazu einfach einmal ein beliebiges Video von YouTube (das erste, das hier aufscheint):
Ich habe es ganz am Anfang so gesehen Taijiquan: Den Vogel am Schwanz fassen, mittlerweile neige ich zu Ansichten, wie auf Peng, peng und noch einmal: Peng Jin!beschrieben und die Umsetzung von Peng, Liu, Ji, An in der Form sieht bei mir wieder anders aus, ganz egal welche Komponente ich betone und was ich ausprobiere. Das ist ja gerade das Faszinierende und gleichzeitig das Verwirrende, dass verschiedene Prinzipien verschieden betont werden, was zu anderen Ausprägungen in der Form führt.

Ich komme sicher nicht auf die Idee andere zu beurteilen oder gar zu kritisieren, sondern ich beobachte aufmerksam die Unterschiede und versuche zuerst einmal die Prinzipien meines Lehrers möglichst gut umzusetzen und zu verstehen.
Natürlich findet man auf YouTube auch Form Videos, die ganz offensichtlich Fehler zeigen, doch diese werde ich sicher nicht einbinden oder besprechen, da sie mich nicht interessieren.
Ich will auch nicht herausfinden was falsch und was richtig ist, solange es nicht in Widerspruch zu den Prinzipien steht, sondern ich will herausfinden, weshalb es diese Unterschiede gibt. Ein Lieblingsthema in Jeet Kune Do “möglichst authentisch oder weiter entwickeln” will ich mir auch sparen und wirklich nur die Unterschiede und deren Sinn und Zweck herausfinden. Natürlich unabhängig von eventuellen Anwendungsmöglichkeiten, denn jede Figur einer Form deutet viele Anwendungsmöglichkeiten an, aber die Betonung einer Anwendungsmöglichkeit lasse ich außer acht.

Ich übe die obige Sequenz von der gleichen Ausgangsposition angefangen übrigens in etwa so: zuerst Ausweichen nach rechts, dabei verändern die Hände ihre Stellung noch nicht, dann folgt ein Zurücksetzen vom vorderen Fuß wobei der Körper von den Händen weg bei noch horizontaler Hüfte nach hinten gebracht wird. Auf halben Weg erfolgt eine Hüftdrehung, welche die linke Schulter und den linken Arm nach hinten zieht. Dabei folgt die rechte Hand und es kommt zu der Bewegung zurückziehen, ähnlich wie im Video oben, aber die Linke holt aus und der rechte Arm bleibt vor dem Bauch. Die Linke kommt dann auf den rechten Unterarm in Mittelstellung (Gewichtung 50:50) und die Mittelfinger berühren den jeweiligen anderen Unterarm. Es erfolgt eine Kraftwelle vom hinteren Fuß, das Becken rotiert horizontal öffnet die Brust und zieht die Schulterblätter nach unten, wodurch die Arme noch in der gleichen Haltung nach oben und vorne kommen. Dabei kommt das Gewicht in das vordere Bein. Dann ziehen die Schulterblätter die Arme nach unten, wobei die linke über die rechte Hand streicht und beide etwas nach außen und hinten gezogen werden. Das Gewicht wird nach hinten verlagert. Schließlich kommt die Kraft wieder über den hinteren Fuß (je nach Betonung auf Kraft oder Geschwindigkeit von der Ferse oder vom Zehenballen) und das Becken rotiert horizontal nach vor, wodurch die Kraft vom Bein über Becken auf Brust und Schulter übertragen werden kann. Das hebt die Arme und schließlich die Hände etwas nach vorne und oben an. Die Zeigefinger sind in der Endposition ca. eine Handbreit voneinander entfernt und bilden einen Winkel von etwa 90° (ähnlich als würde man einen Ball vor der Brust halten).

In den Stilen, die vom Yang Stil abgeleitet wurden (Peking-Form, Kurzform nach Cheng Manching [Zhèng Mànqīng] oder der 42 Competition Form) sehen die Umsetzungen der Grundkräfte sehr ähnlich aus, aber selbst bei ein und der gleichen Form, also z. B. der Langen Form im Yang Style, merkt man bei jedem Lehrer individuelle Unterschiede und bei den Schülern sowieso, nur ist es bei diesen meist nicht gewollt.

Ich vermute, dass es sogar bei ein und der selben Person Unterschiede gibt, sogar bei Fortgeschrittenen, wenn sie es nicht beabsichtigen.

Bei mir, einem Anfänger, sieht die Form jeden Tag anders aus, obwohl ich es natürlich nicht beabsichtige, aber ich mache eben immer andere Fehler. Gestern setzte ich einen Schritt, ohne steigen – drehen – sinken, also war das Bein völlig vom übrigen Körper losgelöst und hat sich selbstständig gemacht. Unlängst war ich überhaupt plötzlich wie gelähmt und wusste nicht mehr wie es weiter geht, obwohl ich seit Monaten täglich die gleiche Form übe und sonst nie nachdenken muss, was als nächstes kommt.
Aber eines weiß ich jedenfalls immer, der Kopf ist oben und die Füße sind unten. 😉

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