Glosse: Bissiges aus spitzer Feder

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Reinhardt Stumm, Feuilletonchef der Baseler Zeitung, hat die Glosse einmal folgendermaßen charakterisiert: “Polemisch, ohne Zugeständnisse, ohne Einräumungen. Die Schwäche des Gegenstandes genau erfassend. Nicht argumentierend, sondern bloßstellend, nicht abwägend, sondern hart, ironisch, witzig, listenreich … Die Pointe muss überraschend, überzeugend, schlagend sein.” Glossenschreiben läßt sich schwer erlernen, weil neben dem Handwerk eine gehörige Portion Mutterwitz und Boshaftigkeit hinzukommen müssen. Die deutschen Edelfedern der Glosse schreiben täglich in der “Süddeutschen Zeitung” auf Seite eins unter der Rubrik “Das Streiflicht”. Die “Streiflichtler” haben einen ganzen Tag lang Zeit, ein aktuelles Thema zu glossieren. Ihr seht, Glossenschreiben braucht Zeit, da muss am Text gefeilt, intelligente, überraschende Wortspiele erfunden werden. Hier ein Beispiel aus einer Tageszeitung:
Wer von seiner Körpergröße her eher zu den kleineren Menschen zählt, der hat es manchmal gar nicht einfach. Ich will nicht über die Ärmel der neu gekauften Jacke sprechen, …
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Altertum und Mittelalter

(von Wikipedia):
Im griechischen Altertum war γλώσσα (bzw. die attische Form γλώττα) seit Aristoteles (Poetica 1457 b 4, Rhetorica 1410 b 12) ein grammatisch-rhetorischer Fachterminus für ein fremdartiges Wort (Fremdwort, Dialektwort, Archaismus). Bei den römischen Grammatikern und Rhetorikern war hierfür nicht lateinisch glossa, sondern das jüngere und ebenfalls griechische Fremdwort glossema bzw. glossematum der übliche Fachausdruck, von Quintilian (1.8.15) erklärt als „glossemata (…), id est voces minus usitatae“ („Glossemata, das heißt wenig gebräuchliche Wörter“). In der Spätantike verschob sich die Bedeutung von dem zu erklärenden Wort auf die Worterklärung selber. Lateinisch glossa meinte in der von Isidor (Etymologiae 1.30) an das Mittelalter vermittelten Tradition dann zunächst besonders die Erklärung der Bedeutung eines Wortes durch ein anderes Einzelwort: „cum unius verbi rem uno verbo manifestamus“ („wenn wir die Bedeutung eines Wortes durch ein einziges Wort offenlegen“).

Während der Terminus Scholie im Griechischen seit dem 2. Jahrhundert und so auch in der modernen Altphilologie speziell für die metatextuelle interpretierende (oder philologisch den Text berichtigende) Glosse verwendet wird, die an einen bestimmten Text gebunden ist und entweder als Marginalie zu diesem Text oder in einer Sammlung von Exzerpten zu diesem Text überliefert wurde, wurde der Terminus glossa (bzw. glosa, closa, Diminutiv glos(s)ula) im lateinischen Mittelalter sowohl für solche metatextuelle Glossen, als auch für Worterklärungen ohne Bindung an einen zu erklärenden Text verwendet, die dann in alphabetisch oder sachlich begründeter Anordnung als lexikokraphische (glossarium) oder enzyklopädische Exzerptensammlung tradiert wurden. …

Journalistische Glosse

Im modernen Journalismus bezeichnet man als Glosse einen kurzen, pointierten Meinungsbeitrag, der sich von Kommentar und Leitartikel durch seinen polemischen, satirischen oder feuilletonistischen Charakter unterscheidet. Journalistische Glossen werden verfasst sowohl zu lustigen als auch zu ernsten Themen, zu „großen“ weltpolitischen ebenso wie zu „kleinen“ lokalen Ereignissen. Häufige Stilmittel sind Ironie und Übertreibung (Hyperbel). Als stilbildendes Exemplar der Gattung gilt die Kolumne Streiflicht auf der Titelseite der Süddeutschen Zeitung.

Eine Sonderform bildet die journalistische Sprachglosse. Sie kommentiert Erscheinungen des zeitgenössischen Sprachgebrauchs mehr oder minder kritisch und setzt sie dann oft auch in Beziehung zu allgemeineren kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklungen. In Staaten mit eingeschränkter Pressefreiheit verstecken Schriftsteller und Journalisten ihre Regimekritik mitunter in Sprachglossen, so in der Vergangenheit in Deutschland während der Zeit des Nationalsozialismus und in der DDR.

Bekanntes jüngeres Beispiel für eine Sprachglosse ist die Kolumne Zwiebelfisch, die der Autor Bastian Sick regelmäßig in Spiegel Online und in der Kulturbeilage des Spiegel veröffentlicht.

In der Sprachwissenschaft ist eine Glosse eine grammatische Erläuterung eines Worts, eines Satzes oder eines Textabschnitts. Bei der Glossierung werden heute üblicherweise Interlinearglossen bevorzugt und dabei grammatische Elemente mit Großbuchstaben, lexikalische Elemente mit kleinen Buchstaben wiedergegeben. Es existiert kein normativer Kanon über die dabei verwendeten Abkürzungen, mit der Zeit haben sich aber bestimmte Abkürzungen etabliert (z.B. PL für Plural) Darüber hinaus bieten die Leipzig Glossing Rules [1] eine Empfehlung an. Im folgenden Beispiel aus dem Lateinischen liefert die erste Zeile die tatsächliche objektsprachliche Form mit Kennzeichnung der Morphemgrenzen innerhalb eines Wortes durch Striche, die zweite Zeile die eigentliche Glossierung und Zeile Drei das metasprachliche Äquivalent:

non schol-ae sed vit-ae disc-imus
NEG Schule-3SG.DAT.FEM sondern Leben-3SG.DAT.FEM lern-1PL.IND.PRÄS.AKT

„Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir

Glosse (Gedichtform)

Die Gedichtform der Glosse wurde von den Brüdern August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel in Deutschland bekannt gemacht, ursprünglich stammt sie aus Spanien. Ihre Strophenform heißt Dezime.

Die Glosse hat vier Strophen zu je zehn Zeilen, die das folgende Reimschema aufweisen:

a b a b a
– – – – – – –
c d c c d oder
c c d d c

Die Besonderheit der Glosse liegt darin, dass dem ganzen Gedicht ein Motto vorangestellt ist, das auch von einem anderen Dichter stammen kann – im folgenden Beispiel von Ludwig Tieck. Und dieses Motto wird in den Endzeilen jeder Strophe wiedergegeben und dadurch neu interpretiert (glossiert).

Beispiel 1: (Ludwig Uhland, Der Rezensent)

Süße Liebe denkt in Tönen,
Denn Gedanken stehn zu fern,
Nur in Tönen mag sie gern
Alles, was sie will, verschönen.

Schönste! Du hast mir befohlen
Dieses Thema zu glossieren;
Doch ich sag es unverhohlen:
Dieses heißt die Zeit verlieren,
Und ich sitze wie auf Kohlen.
Liebtet ihr nicht, stolze Schönen!
Selbst die Logik zu verhöhnen,
Würd ich zu beweisen wagen,
Daß es Unsinn ist zu sagen:

Süße Liebe denkt in Tönen

Zwar versteh ich wohl das Schema
Dieser abgeschmackten Glossen,
Aber solch verzwicktes Thema,
Solche rätselhaften Possen
Sind ein gordisches Problema.
Dennoch macht’ ich mir, mein Stern!
Diese Freude gar zu gern.
Hoffnungslos reib ich die Hände,
Nimmer bring ich es zu Ende,

Denn Gedanken stehn zu fern.

Laß, mein Kind, die span’sche Mode!
Laß die fremden Triolette!
Laß die welsche Klangmethode
Der Kanzonen und Sonette!
Bleib bei deiner sapph’schen Ode!
Bleib der Aftermuse fern
Der romatisch süßen Herrn!
Duftig schwebeln, luftig tänzeln
Nur in Reimchen, Assonänzeln,

Nur in Tönen mag sie gern.

Nicht in Tönen solcher Glossen
Kann die Poesie sich zeigen;
In antiken Verskolossen
Stampft sie besser ihren Reigen
Mit Spondeen und Molossen.
Nur im Hammerschlag und Dröhnen
Deutschhellenischer Kamönen
Kann sie selbst die alten, kranken,
Allerhäßlichsten Gedanken,

Alles, was sie will, verschönen.

Beispiel 2: (Miguel de Cervantes, in dem Roman Don Quijote)

Si mi fue tornase a es,
sin esperar más será,
o viniese el tiempo ya
de lo que será después…!

Al fin, como todo pasa,
….
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2 Gedanken zu „Glosse: Bissiges aus spitzer Feder“

  1. Ich überlege im Moment, wie Du lang Du Dich wohl mit spitzen Tasten rumärgern musst, bevor mich Artikel wie dieser erfreuen…
    Wenn das so weiter geht, wirst Du Deiner Themenpalette im Seitenkopf bald neu zweite Zeile spendieren müssen. Sprachforscher passt nämlich nicht mehr hin 😉

    Wenn hier sogar eher lexikale Beiträge zum beinahe sexuellen Lesevergnügen mutieren, werd ich dank Dir zum Linguaphilen!

    Mit hanfigen Grüßen
    Steffen

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