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Reflexion zu meiner Wollmilchsau Taijiquan

Jahrelang beschäftigten mich Gedanken zu Tai Chi Chuan (TCC) in immer einer ähnlichen Weise. Ich habe Bücher, Videos und vor allem das, was ich in Kursen lernte verarbeitet. Ich interessierte mich für alle möglichen Aspekte zu allen Stilen, zur Geschichte, den Formen, Tui Shou und den Anwendungsmöglichkeiten. Einzelne Figuren gaben mir schon tagelang Stoff zum vergleichen und herumtüfteln, aber alle Betrachtungen schienen irgendwie einen gemeinsamen Nenner zu haben, der mir unbekannt ist und auch nicht näher erörtert werden möchte. Etwas mystisches und nur spirituell erfahrbares Unbekanntes begleitete meine theoretische und praktische Beschäftigung mit TCC. Eine Sehnsucht nach Freiheit, nach Bewegungsfreiheit, nach Ordnung, Harmonie, nein, nach der Harmonie und unterschwellig der Wunsch sich zu entwickeln, emanzipieren, sich selbst und das Leben besser kennen zu lernen. Die Lebensenergie und ihre Wege zu erahnen…. und trotzdem kritisch bleiben. Selbst wenn ich zu wissen glaube, was mit Sprüchen gemeint ist, die teilweise von großen vergangenen Meistern stammen, kann ich es nicht einfach unkritisch akzeptieren. Ich kenne inzwischen eine ganze Reihe solcher Sprüche, mit denen ich nicht ohne weiteres konform gehe, wie z. B.: „ich kenne alle, aber keiner kennt mich.“ Selbst wenn es eine sehr hohe Kunst sein mag, scheinbar nicht vorhanden zu sein und unbemerkt in das Zentrum des anderen zu sinken, so ist es für mich trotzdem nicht erstrebenswert, da dadurch lediglich erreicht werden könnte, dass ich den anderen besiege. Wozu sein Zentrum verstecken? Um das Yin-Yang-Spiel zu erschweren? Ein Versteckenspiel ist meiner Meinung nach nicht sehr harmonisch, auch wenn es den TCC Prinzipien folgen sollte. Der Vergleich ist nicht ganz nach meinem Geschmack. Jeder Vergleich hinkt, sonst bräuchte man ja keinen Vergleich, aber mir gefällt folgender Gedanke besser.
Wenn ich in das Spiel bewusst oder besser gesagt, gefühlt eingreifen möchte, dann will ich mich zeigen und weich wie Wasser in den anderen hineinfließen, ohne dass dieser sich dagegen wehren kann, weil ich ihm keinen Wiederstand biete, obwohl ich mich direkt auf ihn zu bewege. Ja, dass gefällt mir besser und wenn es gelingt, kann ich auf die anschließende kleine Welle oder den spiralenförmigen Strudel gerne verzichten. Umgekehrt ist es genau so spannend, zu fühlen, wie viel Wasser man heran lassen kann, bis man den Boden unter den Füßen verliert.

Naja, früher dachte ich jedenfalls viel in einer bestimmten Art und Weise über Technik, Energie, Form usw. nach und natürlich wollte ich mich verbessern, was zu dem Problem der Messbarkeit führte. Kampfkunst kann man aber nicht als Kampfsport betreiben und dazu musste ich mir die unzähligen Argumente der Kampfkünstler überlegen, bis das Wohlbefinden mein Maßstab wurde. Es genügte mir aber nicht, da könnte ich auch in ein Wellness-Center gehen oder TCC als esoterischen Balzmeditationstanz pflegen. Wohlbefinden ist so subjektiv, dass ich es vielleicht sogar durch ein paar Pillen oder diverse Sucht- und Genussmittel erlangen kann.
So kommen mir ganz neue Gedanken zu Tai Chi auf der Suche nach einem Maß, ob es etwas bewirkt. Wie wohl, ausgeglichen, ruhig und fit würde ich mich jetzt fühlen, wenn ich die letzten Jahre täglich schwimmen oder wandern gegangen wäre, statt Taijiquan zu üben?
Also sportlicher Wettkampf und subjektive Introspektion bringen mich nicht weiter und mit Hilfsmitteln wie Dart kann ich auch kaum eine Relation zu den Auswirkungen meiner TCC-Übungen herstellen.
Wenn ich das Wort „Chi“ von einem Kampfkünstler oder Esoteriker höre, wende ich mich normalerweise gleich weg, weil ich das Gelaber meist nicht aushalte. Es stört mich nicht, wenn jemand Phantasie hat, ganz im Gegenteil, aber ich vergeude meine Zeit nicht gerne damit, mir irgendwelche Phrasen zum x-ten mal anzuhören. Es langweilt mich genau so, wie ein Gebet oder uralte Blondinenwitze.
Nun, da ich genug Lebensenergie (was man unter vielen anderen Möglichkeiten auch mit Chi übersetzen kann) habe, brauche ich ja eigentlich nur mehr eine einzige der 13 Taijiquan-Grundtechniken nehmen und prüfen, ob ich damit Energie aufnehmen oder abgeben kann. Ideal und schon sind wir wieder bei dem obigen Vergleich mit dem
Wasser. Ich kann Energie von meinem Fuß oder auch von meinem Dantian in die Hand, Ellenbogen, Schulter übertragen, das ist nicht schwierig und bedarf kein TCC. Wenn mir ein Partner gegenüber steht und ich ihn wegschubsen möchte, brauche ich dazu nur eine bestimmte Kraft und auch kein TCC. Wenn dieser Partner aber genau das verhindern möchte und ich ihn dadurch mit noch weniger Kraftaufwand vom Platz schubsen kann, dann funktioniert TCC. Oder wenn er mich von der Stelle schubsen möchte und sich dabei selbst weg schubst, dann funktioniert es. Das ist momentan mein Maß, mit dem ich gerade experimentiere. Leider ist es sehr schwer zu justieren, aber in ein paar Jahren weiß ich, ob ich nur stärker, fitter, ausgeglichener, …. geworden bin, oder ob die TCC-Prinzipien auch für mich hinsichtlich Kampfkunst funktionieren können, also ob ich es tatsächlich im ursprünglichen Sinn unter Beachtung der wichtigsten Aspekte erlernen kann. Schließlich könnte die Voraussetzung zur Erlangung dieser Fähigkeit ja auch angeboren, also vererbbar sein.

Ja, Taijiquan ist schon meine Wollmilchsau und bereichert mich in sehr vielen Bereichen als Medium für Sport, Kunst, Bewegungs-, Kultur-, Harmonie-, Sensibilisierungslehre, zwischenmenschlicher Beziehungen und vieles mehr. Ich genieße also schon einige Früchte, aber könnte es mir auch noch zur Selbstverteidigung nützlich sein? Eigentlich ist dieser Aspekt nicht besonders wichtig für mich, aber da es sich primär als Kampfkunst versteht, ergibt sich daraus automatisch eine gewisse Bedeutsamkeit hinsichtlich dieser Frage. Würde sich TCC z.B. hauptsächlich als Heilkunst verstehen, was ja auch nicht ganz an den Haaren herbei gezogen wäre, erübrigte sich diese Frage für mich. Dann hätten wir im TCC aber statt so mancher Form vermutlich Kräuterlehre oder andere, taoistische Schwerpunkte.
Aber vielleicht könnte ich mich ja sogar schon mit TCC verteidigen, obwohl ich natürlich nicht in die Situation kommen möchte und wenn, dann nicht gegen einen stärkeren, schnelleren, oder gar bewaffneten Gegner und schon gar nicht gegen eine Boxer, Ringer, Judo-, Taekwondo-Kämpfer …. Den kleinen Jungs im Park kann ich trotzdem erzählen, dass Tai Chi Kampfkünstler unbesiegbar wären, Gewehrkugeln zwischen den Zähnen oder wahlweise auch mit Daumen und Zeigefinger fangen können und große Ungeheuer mit bloßem Blicke zu töten vermögen. Manche Männer üben letzteres gerade und starren dazu schon seit Jahren auf Ziegen. Das sind dann eben die bekannten TCC-Männer, die auf Ziegen starren. Bevor ich nun aber über die Ziege zur nächsten Wollmilchsau, dem Schaf komme und dann vielleicht bemerke, dass sich heute am Faschingdienstag womöglich ein Wolf unter dem Pelz versteckt, beende ich lieber meine heutigen Betrachtungen zu Taijiquan. 😉

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