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30) * Physiologie des Sehens

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Das Gehirn erzeugt beim Sehen ein kontinuierliches Bild aus einer Folge von Einzelbildern, die durch Wechselwirkung sensorischer und motorischer Leistungen des Auges entstehen.

Obwohl es sich beim Sehen um eine Wechselwirkung beider Komponenten handelt, versuche ich, der Übersichtlichkeit halber, beide Komponenten getrennt zu beschreiben.

1. Motorische Komponente des Sehens

Trotz Bildverschiebungen auf der Netzhaut kommt es zu einer stabilen, kontinuierlichen, visuellen Wahrnehmung. Das Objekt wird dabei fixiert, sodaß die Abbildung auf die Stelle des schärfsten Sehens – Fovea centralis – projiziert werden. Dazu sind Augenbewegungen erforderlich. Auch zum Abtasten eines ausgedehnten Objektes sind Augenbewegungen nötig, nähmlich die Saccaden (kleine ruckartige Bewegungen).

Weiters sind natürlich die Augenfolgebewegungen (AFB) notwendig, um bewegte Objekte verfolgen zu können, wobei die AFB bei größeren Bereichen von Kopfbewegungen begleitet werden. Die sechs äußeren Augenmuskeln, vom N. occulomotorius, N. abducens und N. trochlearis innerviert, sind dabei für die konjugierten Augenbewegungen (beide Augen in gleicher Weise), für die Vergenzbewegungen (Kon- und Divergenzbewegung) und für die cyclortatorischen Augenbewegungen verantwortlich.

Die Saccaden reichen von wenigen Winkelminuten (Mikrosaccaden) bis zu sog. Willkürbewegungen über 90°.

Bei einer zielgerichteten Kopf- und Augenbewegungerreichen die Augen zuerst ihr Ziel.

Bis zu dem Zeitpunkt, an dem auch der Kopf sein Blickziel ereicht, werden die Augen langsam zurückgeführt, sodaß bereits eine Fixation möglich ist.

Aber selbst während der Fixation sind kleine unwillkürliche Microsaccaden feststellbar (Augentremor).

Bei Verfolgung eines bewegten Objektes treten gleitende AFB auf. Auch während dieser gleitenden AFB sind Korrektursaccaden zu finden. Objekte, deren Winkelgeschwindigkeit über 80°/s beträgt, werden durch gleitende AFB, große Korrektursaccaden und zusätzlicher Kopfbewegung in der Foveamitte gehalten.

Gleitende AFB können Sie auch gut beobachten, wenn Sie sich in den Spiegel sehen und dabei die Pupille fixierend den Kopf bewegen.

Der Wechsel zwischen Rückstellsaccaden und gleitenden AFB, um einen neuen Punkt der z.B. scheinbewegten Umwelt bei einer Eisenbahnfahrt zu fixieren, wird optokinetischer Nystagmus (OKN) genannt.

Der OKN ist auch durch ein bewegtes Streifenmuster auslösbar. Untersuchungen des OKN geben Hinweise auf eventuelle Störungen im Blickmotorischen System (Hirnstamm, Cerebellum, Parietallappen).

Mit elektrooculographischen Methoden (siehe unten) können AFB und Saccaden, z.B. Zielsaccaden, Inspektionssaccaden, Lesesaccaden, REM-Saccaden, Saccaden bei Halluzinationen, bei Migräne usw. aufgezeichnet werden.

Bei Lesesaccaden wirkt sich nicht nur der Schrifttyp auf die Frequenz und Form der Saccaden aus, sondern auch das Texstverständnis. Anspruchsvolle Texte verlangen häufiger Regressionssaccaden als einfache Texte. Aber auch beim Lesenlernen und bei Legasthenie sind gehäuft Regressionssaccaden zu beobachten.

Bei den Lesesaccaden erfolgt eine schnelle Augenbewegung nach links, der dann Saccaden nach rechts folgen. Die u.a. vom Textverständnis abhängigen Regressionssaccaden sind mir „r“ bezeichnet.

Für hprizontale Blickbewegungen sind h.s. Neurone der paramedianen pontinen Rormatio reticularis (PPFR), und für verticale Blickbewegungen v.a. Neurone der mesencephalen Formatio reticularis (MFR) verantwortlich. Von diesen Arealen sind Verbindungen zu den Augenmuskelkernen (N. III, IV UND VI) und zu den Moroneuronen des oberen Halsmarkes zu finden. Auf die blickmotorischen Zentren des Hirnstammes haben weiters folgende Strukturen wesentlichen Einfluß:
1.) Colliculi superior
2.) sekundärer visueller Cortex
3.) parietaler Integrationscortex
4.) frontales Augenfeld
5.) Neurone des Vestibulocerebellums.

Bezgl. „vestibulärer Nystagmus“siehe Frage 29. Hier möchte ich nur noch einmal anführen, daß beim vestibulären Nystagmus die langsame Komponente vestibulär ausgelöst wird. Die schnelle Nachhohlbewegung, von der die Bezeichnung (rechter oder linker Nystagmus) abgeleitet wird, wird nicht vestibulär ausgelöst, sondern es handelt sich um rein optische Korrekturbewegungen.

Bevor ich zum adäquaten Reiz des Auges, dem sichtbaren Licht, also zur sensorischen Komponente übergehe, möchte ich noch einmal darauf hinweisen, daß die Kontinuität der visuellen Wahrnehmung angeblich erst im ZNS entstehen kann (zu kritischer Betrachtung dieser Aussage ist geraten, da theoretisch bei extrem hoher Frequenz die Intervalle unendlich klein werden können). Die Photoreceptoren können nicht dafür verantwortlich sein, so sagt man, obwohl an ihnen das Prinzip der Summation auftritt, da die Information anschließend in Frequenz codiert weitergeleitet wird.

Eine ununterbrochene Informationsweiterleitung (amplitudenmoduliert) ist nicht gegeben.
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