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Hellhäutige(r) im Hemd

Es war keine MohrIn (NegerIn darf man ja nicht mehr sagen) und ein(e) SchwarzerIn war ErSie*1 schon gar nicht. Nein, es war eher ein(e) sehr dunkelbraun gebräunte(r) Hellhäutige(r). Schlicht gesagt, ein männlicher, sonnenverbrannter Weißer, um endlich das natürliche Geschlecht aus der Grammatik lassen zu können. Kein Albino aus Braunau und kein rassiger Rheinländer, sondern einfach nur ein nobel blasser Typ, den ich da, auf der Mariahilfer Straße, begegnete. Auf Wegen starker Fluktuation gehe ich immer mit gesenktem Blick. Das ist weder devot, noch schüchtern, sondern menschenfreundlich. Man kann in diesen Gedränge unmöglich jeden Menschen und seine Absichten erkennen, also schalte ich ab, vertraue mir selbst und verlassen mich auf meine Instinkte. Mit gesenktem, aber keines Falls unterwürfigen, jedoch achtsamen Blick, gehe ich die Mariahilfer Straße in Höhe Camera Club, also Neubaugasse entlang. Ich sehe einen Kleiderhaken am Gehsteig liegen – schwarz aus Plastik und ganz dicht an der schönbrunnergelben, hellen Wand. 2 bis 3 Meter später, sehe ich den Hellhäutigen im Hemd am Gehsteig an der alten Mauer kauernd da hockend. Unsere Blicke treffen einander. Ich fühle nichts, denke nichts und habe keine Vorurteile. Er ist barfuß, unterhosenlos und abgesehen vom Hemd mit Verpackungsfalten, nackt.
Ich gehe noch ein paar Schritte um Distanz zu gewinnen, dann bleibe ich stehen und wende meinen Kopf und Hals. Das Blut steigt in mein befangenes Hirn und dieses denkt adrenalinisiert: „VERDAMMT BIN ICH ERBÄRMLICH“. Er wimmert vor Angst und Kälte und ich konnte nicht einmal ganz einfach und natürlich stehen bleiben, ihm die Hand freundschaftlich auflegen und sagen: „Alles ist gut! — Kein Problem! —- Was machen wir jetzt?“
Ich drehe um und gehe langsam zurück. Richte mir die Designerbrille zurecht und beginne leise auf ihn zu schimpfen. Auf gleicher Höhe, treffen sich unsere Blicke. Mein Fuß juckt und zuckt – er fleht mich mit unschuldigen Blick an! Ich werde wenigstens lauter! Wende – Hals – Gesinnung: „ich Weißer, schreie und beschimpfe ihn „weißer Mohr im Hemd“. Die Polizei kommt, ich trete leise zurück.
Mein heiliger, blütenweißer Geist freut sich und strahlt, als sie ihn abführen und alles langsam verblasst. Meine schwache Seele kränkt sich, weil sie den Starken so zart und mit Handschuhen behandeln. Ich werde eifersüchtig und will mich ausziehen und sogar mein Hemd her geben. Da sehe ich, was unter der Kleidung ist und gehe. Ich gehe, gehe bis zu Thomas und Bernhard und sogar noch weiter. Weiter und weiter gehe ich, bis ich es einfach nicht mehr aushalte und zum Laufen beginne. Rennend ringe ich um Luft und falle abrupt. Stillstand mit dem Spiegelbild der Seele als Umhang verwesend, dreht und bewegt sich nichts mehr. Alles steht fixiert, starr da, bis es vom Leben zerfressen sich auflöst in Würmern, Mikroben, Parteien von membranieten Einzellern und einem buntem Gemisch, aus häutigen, bunt melanierten Vielzellerverbänden.

hh


*1 endlich habe ich womöglich begriffen, wozu die Groß-Kleinschreibung gut ist