Vier extreme Orientierungslauf-Tage meiner Jugend; Tag 1: Untersberg

Es war während ich, da ich ja nicht den Vorzug, der Töchter Österreichs genoss, meinen Wehrdienst  ableisten musste. Übrigens kann ich auch nicht mit 60 in Pension gehen und das alleinige Erziehungsrecht für meine Tochter bekam damals, als wir uns trennten, natürlich die Mutter. Soviel zur Benachteiligung der Frau in unserer Gesellschaft. Es ist mir auch nicht bekannt, dass eine Frau in meiner Position weniger verdienen würde, als ich. Aber wenn ich es schon erwähnte, dann soll auch gleich gesagt sein, dass ich mich eine Zeit lang sogar für die Gleichberechtigung der Frauen einsetzte. Aber als eine Studentin im ultra kurzen Mini vor mir, bei einer Prüfung durch kam,  obwohl sie die Stromstärke in Millivolt angab, vergingen mir diese Ambitionen beinahe. Als sie dann in Anatomie den Ischiadicus für einen Muskel hielt und trotzdem bestand, vergingen sie mir endgültig. Zu dieser Zeit schrieb ich übrigens den Watschenmann, La Hodda, Prinz von Practica und anderes.
Naja, das ist hier zwar nicht Thema, aber ich kann eben nicht vom Wehrdienst sprechen, ohne mich über die Unverschämtheit unserer Regierung zu ärgern. Lassen die doch glatt die Frauen, die ungerechter weise keinen Wehrdienst leisten müssen, über die Wehrpflicht der Männer abstimmen.

Nun zur eigentlichen Geschichte.
Ich brachte vor fast 40 Jahren meinen Präsenzdienst in Siezenheim hinter mich. In meiner Jugend hatte ich typische Jugendprobleme und als sich meine erste große Liebe von mir trennte, weil ich ihr zu unreif war, stürzte meine Welt ein. Das Leben schien mir nicht mehr lebenswert. Gerade in dieser Zeit wurde ich einberufen. Meine Mitstreiter fühlten sich während des Wehrdienstes zum Alkohol hingezogen und nützen jede Gelegenheit zu einem Gelage in der Kantine. Ich suchte diese höchstens auf, um mich mit Milch und einer Leberkäsesemmel zu versorgen, obwohl das Essen beim Militär recht gut war. Eigentlich war der Präsenzdienst für mich eine hervorragende Sache. Ich verpflichtete mich für 18 Monate und konnte so, denn C-Führerschein machen. Aber das Beste an dieser Zeit war, dass ich zur Problembewältigung das Laufen entdeckte. Ja, auch wenn es seltsam klingen mag, aber mit Laufen konnte ich meine damaligen Probleme lösen. Es befreite mich und machte mein Leben wieder lebenswert. Ich trainierte täglich mehrere Stunden, was bald von meinen Vorgesetzten bemerkt wurde. So kam ich zum Team für den Orientierungslauf, dass bei den Heeresmeisterschaften mitmachte. Gut, ich hatte noch immer psychische Probleme, denn anders kann ich mir folgendes nicht erklären. Normalerweise lief ich einfach oft, lange und gerne. Wenn ich aber eine gute Leistung bringen wollte, motivierte ich mich auf recht bedenkliche weise. Ich ging ganz genau bis an meine physische Grenze. Das heißt ich lief, bis zum Umfallen. Ich trickste meinen Körper aus, indem ich mir vorstellte, ich sei in Lebensgefahr und wenn ich stehen bleiben sollte, würde ich erschossen. Durch diesen verrückten Trick, der fast an Selbstmord grenzt, konnte ich tatsächlich alle meine Reserven einsetzen und bis zum Umfallen laufen. Das erste mal lag ich dabei mitten auf der Straße, aber erfreulicher weise im Kasernenbereich, wo kaum Verkehr war. Beim zweiten mal, merkte ich ganz kurz davor, dass ich das Bewusstsein verlieren werde und konnte mich an den Straßenrand retten. Zu einem dritten mal kam es nicht, denn nun kannte ich die Anzeichen genau und konnte in letzter Sekunde meine Leistung stark reduzieren, damit sich mein Körper erholen konnte. Es war verrückt, aber es hat mir geholfen, denn ich wurde immer ausgeglichener und die Schmerzen meiner ersten, gescheiterten Beziehung verblassten. Das Training diente nicht nur dazu, die Grenze der totalen Erschöpfung immer weiter hinaus zu schieben, sondern es machte wirklich Spaß. Als ich im Team für den Orientierungslauf aufgenommen wurde, fuhren wir 2 bis 3 mal in der Woche irgendwo hinaus auf’s Land. Andere Einheiten versteckten die anzulaufenden Punkte und stellten versteckte Beobachtungsposten auf und wir machten nichts und konnten uns die Gegend ansehen. Am Nachmittag liefen wir dann die 10 bis 15 km, wobei die Strecke teilweise wirklich sehr unwegsam war. Steile Böschungen, dichtes Gestrüpp und Sümpfe waren fast immer eingebaut, was meinen Spaßfaktor nur erhöhte.
Eines Tages fragte mich ein Jungmann, ob er mit mir trainieren könnte, denn er wolle auch zu dem Orientierungslauf-Team. Ich sagte ihm, dass bei mir heute der Untersberg am Programm steht. Also, hin, hinauf und herunter laufen und wieder zurück nach Siezenheim. Er hielt es für verrückt, wollte mich aber trotzdem begleiten. Wir vereinbarten, dass jeder alleine weiter läuft, wenn der andre nicht mehr kann. Das war meine Bedingung, um überhaupt gemeinsam weg zu laufen. Er war einverstanden und als wir uns den Untersberg näherten, meinte er, dass er umkehren würde. Ich sagte, in Ordnung, wenn du die gleiche Strecke nimmst, treffen wir uns vielleicht wieder und rannte weiter. Bevor es richtig den Untersberg hinauf ging rauchte ich eine Zigarette, ohne stehen zu bleiben. Also ich hatte immer Zünder und zwei Zigaretten (hinterm Ohr) dabei. Dafür aber keinen Proviant und kein Wasser, was eine weitere Verrücktheit von mir war, die ich heute nicht mehr nachvollziehen kann. Am steilen Weg nach oben kamen mir die Wurzeln am Seitenhang vor, als wären es Fratzen und böse Gestalten, meine Halsschlagader pochte so lauf, dass ich es einen Moment lang für einen Hubschrauber hielt. Als ich oben ankam, setzte ein Unwetter ein. Es blitzte, donnerte und regnete in Strömen. Die Stufen im Fels waren nass und ich Wahnsinniger lief hinunter, als sei ich eine Gämse. Ja, so fühlte ich mich auch. Leicht, schnell, beweglich flog ich mehr, als ich rannte. Es war ein herrliches Gefühl und ich Narr, dachte keine Sekunde an eine Gefahr. Die Dummen haben Glück, heißt es und damals bewahrheitete sich dieser Spruch. Es passierte mir nichts und ich holte meinen Kollegen bald ein. Inzwischen hatte der Regen aufgehört und er meinte, dass er durchnässt sei. Er habe durst und ihm ist kalt. Dann musst du eben laufen, sagte ich, ohne stehen zu bleiben. Meine zweite Zigarette hatte ich verloren, aber sie wäre sowieso nass gewesen. Im Laufen, die Bauern der Gegend mögen es mir verzeihen, riss ich eine Zuckerrübe aus dem Boden. Ich nagte die äußeren, verschmutzen Teile ab und spuckte sie aus. Den Rest aß ich, ohne dabei stehen zu bleiben. Mein Kollege rief mir noch nach, dass ich total verrückt wäre und beschimpfte mich, was aber nicht ernst zu nehmen war.
In der Kaserne duschte ich und zog mir einen trockenen Trainingsanzug an. Mein Kollege kam zurück und klagte über starke Schmerzen im Knie und hatte hohes Fieber, weshalb ich ihn ins Heeresspital begleitete. Er blieb dort bis zum nächsten Tag und nachdem er zurück kam, wollte er nichts mehr mit mir zu tun haben. Mich hat das ehrlich gesagt, überhaupt nicht gestört, denn ich trainierte ohnehin am liebsten alleine.
Ich schreibe das auf, weil ich mir heute kaum noch vorstellen kann, dass ein Mensch so dumm sein kann. Aber ja, ich war es und der Tag zwei, den ich demnächst beschreibe, wird zeigen, dass es sogar noch dümmer geht. Es war der Tag, an dem ich die stärkste und längste Todesangst meines Lebens, am Hochstaufen erlebte.


Bildquelle: „Purekkari neemel“ by Abrget47j – Own work. Licensed under CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons – httpss://commons.wikimedia.org/wiki/File:Purekkari_neemel.jpg#/media/File:Purekkari_neemel.jpg

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