Ein komischer Kauz

der alte Mann und ichJa, der alte Mann, den ich vor ein paar Tagen kennen lernte, war wirklich ein komischer Kauz. Kauz bezieht sich auf die Charakterbeschaffenheit und ich meine, ich habe da ein seltsames Unikum getroffen. Wir gingen beide auf eine Bank im Prater zu, auf der man am Nachmittag die schwachen Strahlen der Wintersonne genießen konnte. Eigentlich wollte ich viel lieber alleine sein und meine Ruhe haben, aber wir kamen gleichzeitig hin und es war offensichtlich, dass wir uns beide dort ausruhen wollten. Also sagte ich „Hallo“, denn das gehört sich doch, wenn man sich eine Bank teilt. Er erwiederte ein mürrisches „Ja auch“ und war anscheinend genau so wenig erfreut über Gesellschaft, wie ich.

Quelle: Athene_cunicularia_-near_Goiania,_Goias,_Brazil-8.jpg: Wagner Machado Carlos Lemes from Goiânia, Brazil
Quelle: Athene_cunicularia_-near_Goiania,_Goias,_Brazil-8.jpg: Wagner Machado Carlos Lemes from Goiânia, Brazil

Ich zündete mir eine Zigarette an, öffnete den Mantel und hielt das Gesicht in die Sonne. Er packte ein Buch aus und begann zu lesen. Ich wäre beinahe eingeschlafen, so angenehm war es da, an diesem milden Winternachmittag, als ein Hund heran kam und uns beschnupperte. Meist greife ich keine fremden Hunde an, aber mit dem verstand ich mich auf den ersten Blick bzw. auf den ersten Schnupper. Er konnte mich gut riechen und mir gefiel der muntere, fröhliche Kerl auf Anhieb, weil er unbekümmert und verspielt umher trollte, ohne dabei auch nur im geringsten aggressiv zu wirken. Wenn ich das sage, heißt das etwas, denn ich habe meist Angst vor Hunden. Als dann das Frauchen vorbei spazierte, meinte mein Sitznachbar: „Noch nie etwas von Leine und Beißkorb gehört, ha?“. Die Frau ging wortlos weiter, warf mir aber verstohlen einen dankbaren Blick zu, denn ich streichelte den Hund gerade und unterhielt mich mit ihm, dann folgte er seinem Frauchen.
Ich zu meinem Banknachbar: „Sie wissen aber schon, dass wir in einer Hundezone sitzen?“. Er: „So ein Blödsinn, ganz Wien ist eine Hundezone und ich suche schon seit Jahren eine Menschenzone.“ Ich: „Das nennt man Hundeverbotszone“. Er: „Mir egal, aber …..“ wir führten ein stundenlanges Gespräch, bei dem sich herausstellte, dass der alte Grantscherm sehr gebildet war. Seinen Beruf hat er mir zwar nicht verraten, aber er hatte jedenfalls eine akademische Ausbildung, denn irgendwann grüßte ihn ein Passant mit Herr Doktor.
Der Inhalt unseres Gespräches wird niemand interessieren, da wir uns nur über naturwissenschaftliche Details, den Grenzwert in der Mathematik und Sprachphilosophie unterhalten haben. Er schien mir jedenfalls ausgezeichnete Kenntnisse in Medizin und Biologie zu haben. Ich erzähle die Geschichte aber nur wegen seiner Ansichten zu ganz banalen, einfachen Alltagsthemen. Wir kamen auf meine Probleme zu sprechen und ich erzählte ihm, dass ich unzufrieden mit mir selbst bin, weil ich rauche, Alkohol trinke, Kaffee konsumiere und Fleisch esse.
Er schwieg, stopfte sich eine Pfeife und lächelte in sich hinein. Es war übrigens das erste Lächeln, das ich von ihm sah. Dann sah er mich an und meinte“ „Sie haben aber wirklich massive Probleme.“ Ich wurde etwas verlegen und kam mir ganz schön dumm und naiv vor und sagte: „Sie rauchen Pfeife?“.
Er: „Nein, ich rauche Zigaretten, Zigarren, Pfeife und ab und zu sogar ein wenig angereichert. Ich trinke Bier, Wein, Schnäpse und ab und zu sogar einen Likör. Ich esse jedes Fleisch und manchmal sogar blutig, aber ich habe deshalb doch kein Problem. Schon gar nicht, wenn ich das alles zur Verfügung habe.“
Ich war erstaunt, denn so sieht der alte Mann gar nicht aus. Ich hielt ihn für einen Asketen, der mit seiner Pfeife gerade seine jährliche Todsünde begeht. Naja, so kann man sich täuschen, also fragte ich ihn, wie er zum Beispiel den Fleischkonsum moralisch vertreten kann. Er erwiderte erstaunt, ob ich ihn etwa für einen Lebensmittelfabrikanten hielte. Er redete weiter:
„Ich esse nur und fühle mich keineswegs verantwortlich für die Haltung, Aufzucht, Schlachtung und Verarbeitung von Tieren. Aber wenn die Tiere artgerecht gehalten werden, oder gar umsorgt und gepflegt wie auf einem gut geführten Bauernhof, dann geht es ihnen besser als den meisten Menschen. Deren Tod ist auch angenehmer, als der, der meisten Menschen, also was soll mich das moralisch kümmern. Ich finde es nur eine Verschwendung, dass man die ganzen Katzen und Hunde nicht auf den Teller bringt.“ „Moment, das ist nicht ihr Ernst“, rief ich dazwischen. „Auf jeden Fall“, meinte mein Gegenüber, lediglich meine Gocksi werde ich nicht verspeisen, dass ist mein Haushuhn, meine Freundin und Mitbewoherin. Sie werde ich auf jeden Fall in einem Marmorgab begraben und die Grabinschrift und Beigaben stehen schon fest. Sie bedeutet mir einfach alles und es wäre mir lieber, wenn ich vor ihr sterben würde, damit ich ihren Tod nicht erleben muss.“
Ich hatte es plötzlich sehr eilig und tat so, als hätte ich die Zeit übersehen: „Hat mich sehr gefreut, auf Wiedersehen!“
Mann, oh Mann, der war mir schon ganz schön unheimlich, obwohl ich in seinen verschmitzten Augen las, dass er uns alle nur verarschte.

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