Ansichten des Studenten Wirrkopf

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Mehrdeutige Begriffe und ein aaliges Konzept dienen dazu, um sich der Verantwortung zu entziehen. Eine sinnvolle, funktionierende Kommunikation ist aber auf solcher Basis nicht vorstellbar. Ebensowenig vorstellbar ist eine sinnvolle Physiologie, die sich auf eine uneindeutige Terminologie stützt.

Bezüglich der Frage „Gewebehormone“ habe ich mir die Ansichten des Studenten Wirrkopf angehört und möchte sie hier auszugsweise wiedergeben.

Wirkopf zu mir:
Wissen Sie, es ist schon unglaublich welche Fragen man heutzutage als Student beantworten soll. Unlängst sollte ich einem Professor erklären was ich unter „somatisches Nervensystem“ verstehe. Natürlich hatte ich einige Mühe es vom nicht-somatischen zu unterscheiden, doch kaum war mir dies gelungen fragte er mich was ich unter „Receptoren“ verstehe. Nachdem ich ihm einen physiologischen Receptor schmackhaft machen konnte und mich schon gerettet wähnte, wollte er zu meinem Unglück noch von mir erfahren, was denn „Gewebehormone“ seien.
Er verwechselte mich wohl mit des Faustens Helfer dachte ich mir und sprach:
„Es ist sicher nicht sinnvoll, wenn man irgendwelche Substanzen aufzählt, die man einmal gehört hat, mit denen man sich aber nichts anzufangen weiß und sie daher einfach Gewebehormone nennt. Ich empfinde es als eine Pietätlosigfkeit gegenüber ehemaligen, großen Physiologen, wenn man Sekretin und andere klassische Hormone mit Histamin, Prostaglandine und Bradykinin kommentarlos in den gemeinsamen Topf der „Gewebehormone“ wirft, der ich mich nicht anschließen möchte. Der britische Physiologe Ernest Henry Starling, der zu den Begründern der modernen Endokrinologie gehört, führte 1905 den Begriff „Hormon“ für die im Organismus zirkulierenden Botenstoffe ein. Starling bemerkte, daß an einem Stück isolierten, denervierten Jejunum, das nur über Blutgefäße mit dem Körper des narkotisierten Hundes verbunden war, mittels HCl ein starker Sekretionsfluß des Pankreas auslösbar sei. Er soll daraufhin ausgerufen haben: „ Dann muß es ein chemischer Reflex sein“, und er bearbeitete anschließend ein Stück Dünndarmschleimhaut mit HCl und injizierte das Filtrat in die Jugularvene des Hundes. Eine noch stärkere Sekretion wurde festgestellt. Sekretin ist laut E.H. Starling ein Hormon und wer sollte es besser wissen?

Allgemein versteht man unter „Hormon“ einen Wirkstoff, der im Organismus selbst gebildet wird, und zwar in spezialisierten, inkretorischen Drüsenzellen, welche sich häufig zu Drüsen organisieren. Dieser Wirkstoff soll bestimmte Funktionen regulieren, nachdem er über die Blutbahn seine Zielzellen erreicht hat (grch. horman = in Bewegung setzen, antreiben; Horme = Antrieb, Angriff).

Es bestünde absolut keine Notwendigkeit, den Begriff „Gewebehormone“ bzw. „tissue hormones“ einzuführen, würde er die selbe Bedeutung haben wie „Hormon“.

Sekretin, Gastrin und Cholecystokinin sind aber eindeutig Hormone im klassischen Sinne der Definition und sie werden auch endokrin, also ins Blut, sezerniert.

Diese Hormone werden allerdings von manchen Autoren und auch Prüfern den Gewebehormonen zugerechnet und zwar mit der Begründung, sie würden nicht in komplexen Drüsen, sondern von Zellen, die verstreut in verschiedenen Geweben liegen können, erzeugt werden.

Definitionen wie: „Gewebehormone sind Hormone, die nicht von Drüsen, sondern im Gewebe erzeugt werden, sind aber auf jeden Fall abzulehnen, denn
a.) können die sogenannten Gewebehormone sehr wohl auch von Drüsen sezerniert werden,
b.) bestehen Drüsen natürlich aus Drüsengewebe (eine Produktion ist sowieso nur im Gewebe und nicht außerhalb des Gewebes, oder des Körpers, möglich) und
c.) ist es äußerst suspekt, wenn jemand Mastzellen, APUD-Zellen, Thrombocyten oder gar Membranteile schlechthin als Gewebe bezeichnet.

Ein namhafter Physiologe der Gegenwart definiert: „ Gewebehormone seien Hormone mit parakriner Wirkung“. Unter parakriner Wirkung wird hier eine lokale Wirksamkeit verstanden, zu der es durch Diffusion über das Interstitium kommt. Bei dieser Definition kann sich „Hormone“ natürlich nicht auf die klassischen Hormone der Endokrinologie beziehen, da klassische Hormone zwar parakrine Wirkung haben könnten, aber das charakteristische Merkmal, nämlich die endokrine Sekretion (nach innen, ins Blut) aufweisen müßten.

Hormon und parakrin widerspricht sich aber, es sei denn, man erweitert die Bedeutung von parakrin und versteht auch unter endokrin parakrin, wenn das „Hormon“ rasch abgebaut wird, so dass es nur lokal wirken kann. Die zweite Möglichkeit wäre, dass man einfach „Gewebe-„ vorsetzt und behauptet ein Gewebehormon ist eben kein Hormon. Dann aber ist Sekretin kein Gewebehormon. Die nähere Bestimmung „parakrine Wirkung“ (para-krin = in die Umgebung sezernierend) weist auf jeden Fall auf die lokale Wirksamkeit hin.

Werden nun auch das Histamin der Mastzellen, die Interleukine und die Lymphokine von Abwehrzellen als parakrine Gewebehormone bezeichnet, so muss man das Blut als Gewebe sehen (kein Problem für mich). Der Gipfel der Absurdität ist aber, dass man bei Mastzellen, solange sie sich im Blut befinden, von endokrin-parakrinen Zellen sprechen müßte die ihr „Gewebehormon“ in ihre Umgebung, also ins Blut abgeben, obwohl sie das Blut als Blutzellen selbst darstellen.

Weiters ist z.B. Noradrenalin einerseits Transmitter des postggl. Sympathicus, andererseits ist es ein durch das NNM endokrin, in das Blut sezerniertes Hormon und weiterts kann es z.B. bei indirekter Innervation von glatter Muskulatur, bei der NA aus den Varikositäten nicht in einen synaptischen Spalt, sondern in die Umgebug freigesetzt wird, parakrine Wirkung haben.

Meiner Meinung nach, könnte man den Begriff „Gewebehormone“ ohne großen Verlust fallen lassen und um gewisse historische Aspekte zu würdigen, würde einerseits „Mediatoren“ und andererseits „Hormone“ auch ausreichend sein. Am sinnvollsten fände ich aber eine Einteilung der in Frage kommenden Substanzen nach chemischer Systematik und eine Anführung unter den jeweiligen Kapiteln der Physiologie, wo dann auch die Funktion bzw. Wirkung erklärt werden sollte. In vielen ernsthaften Lehrbüchern findet man die Substanzen auch unter den jeweiligen Kapiteln und was die Zusammenfassung einzelner disseminenter Zellarten zu einem einheitlidchen System betrifft, schließe ich mich der Auffassung an, dass eine solche nach den heutigen Kenntnissen nach schwerlich zu einem sinnvollen Ergebnis führen kann (siehe auch „Disseminente endokrine Zellen“; Lehrbuch der Histologie/Schwarzacher, Schnedl/). Auf ein Unklarheiten beseitigendes aktuelles Lehrbuch von Mitarbeitern des Institutes für Physiologie-Wien kann ich leider nicht verweisen. Ebensowenig kann ich auf einen österr. Gegenstands- oder Fragenkatalog verweisen, doch vielleicht wartet man auf Europas Geschenk. Chemisch wäre eine Einteilung der sog. Gewebehormone bzw. aglandulären Hormonen in vier Gruppen denkbar:

  1. Amine: Serotonin, Melatonin, dopamin, Histamin, Ach…
  2. Glykoproteine: Erythropoietin…
  3. Fettsäure-Derivate: Prostaglandine…
  4. Peptide: (Gastrointestinale Peptide, Neuropeptide u.a.) VIP, GIP, ANP, Gastrin, Sekretin, Pankreocymin, Kinine, Endorphine, Enkephaline…

Als ich Wirrkopf fragte, ob er nicht befürchtet mit seinen Ansichten als Querulant ins Abseits geschoben zu werden, meinte dieser lakonisch:
Vor 2000 Jahren wurde der Streit offiziell zum Vater der Dinge. Zu beobachten ist dies auf Elektronenniveau wie auf molekularer Ebene und auf der Stufe der Hormone, für physilalische Gesetzmäßigkeiten gilt es ebenso wie für chemische, soziologische oder politische Reaktionen.

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