Aufwärmen und Dehnen im Taijiquan – Teil 1

(Last Updated On: 10. Oktober 2018)

Vor den eigentlichen Grundübungen, mit denen jedes (Chen) Taijiquan-Training beginnen sollte, also der „stehenden Säule“, den Seidenfadenübungen und/oder verschiedene Qigong-Übungen steht Aufwärmen und Dehnen am Programm.

Diesen Absatz wollte ich mir eigentlich ersparen, da ich aber gerade wieder wieder eine Expertenwarnung in einer Tageszeitung lese, wo man meint, dass Yoga gesundheitsschädlich sein kann. Abgesehen davon, dass es heute bei Egomanen Mode ist vor allem und jeden zu warnen um sich durch Panikmache ins Rampenlicht schieben zu können, kann natürlich wirklich alles mit falschem Ehrgeiz betrieben werden. Meine Ergänzung zu sämtlichen Warnung der Gegenwart: „Achtung, Leben ist ausnahmslos immer tödlich!“ Wollen wir es deshalb vermeiden? Im Taijiquan ist die Gefahr zwar gering, aber gerade beim Dehnen und Aufwärmen sollte man sich darüber im klaren sein, dass ein Spagat nicht unbedingt erforderlich ist für Taijiquan. Taoisten haben dazu im Taijiquan übrigens die 70%-Regel; höchstens bis auf 70% der Maximalbelastung in jeder Hinsicht und so kommt man zwar nur langsam, aber sicher zum Erfolg; jahrtausende lang praktizierte Übungen aus dem fernen Osten können für einen gestressten Europäer hier und heute womöglich schon gesundheitsschädlich sein, wenn er es so betreibt, wie alles andere im Leben auch – schneller, weiter, mehr, besser, öfter, länger, perfekter … mit Gold behangen, ein Herzinfarkt am Stockerl, haut sie dann aus ihre Sockerl. Also bitte nicht so, sondern mit Vergnügen Dehnen! 😉

Lange Geschichten zu den Vorbedingungen, die man sich für die Übungen schaffen soll halte ich für überflüssig. Zeit nehmen (täglich), das Handy ausschalten, bequeme Kleidung, den richtigen Ort, also ein sauberer, trockener und gut gelüfteter Raum, bei Bedarf auch ein paar Kerzen, Räucherstäbchen und entspannende Suggestionsharmoniemusik im Hintergrund.
Nun, ich halte nicht sehr viel davon und denke, dass man in jeder Umgebung und bei jeder Störung (auch Baulärm) und trotz jeder Widerwärtigkeit gleich gut üben kann. Am besten ist es meiner Meinung nach, in der freien Natur zu üben. Auch wenn der Wind bläst und es ein wenig tröpfelt, oder ein paar Schneeflocken vom Himmel herab tänzeln. Besondere Kleidung ist nur praktisch, aber nicht erforderlich und beeinflusst, meiner Erfahrung nach, den Erfolg der Übung kaum. Ablenkung kann sogar nützlich sein, denn wir leben nicht im Paradies und Taijiquan soll ja auch nicht nur unter optimalen Bedingungen (im Paradies) funktionieren. Harmonische Klänge, Düfte und Kerzenschein gefällt mir auch, ist mir aber nicht wichtig, wenn ich Taijiquan üben möchte. Ich bin also für „üben im Freien“ unter keinen besonderen Voraussetzungen und ohne bestimmter landschaftlichen Kulisse. Selbstverständlich gibt es Übungen, für die auch ich oben erwähnte Bedingungen bevorzuge, besonders wenn es um Meditation oder bestimmte Dehnübungen geht, bei denen ich gerne auf trockenem, suberen Boden sitze oder liege.

Viele Lehrer und Autoren finden, dass man neben Taijiquan keine weiteren „Schulen“ benötigt und auf Zen-Meditation, Yoga, Aikido, ja sogar auf Qigong im Neigong verzichten kann, weil Taijiquan das alles auch bietet. Ich denke, dass jede Kunst, Sportart, Philosophie und Lebensart spezielle Besonderheiten birgt und sinnvoll genutzt werden kann und ich möchte im Zusammenhang mit „Aufwärmen und Dehnen“ genau so wenig auf Erkenntnisse aus der westlichen Sportwissenschaft und dem Gesundheitsbereich, wie auf Qigong und Yoga verzichten.

Wenn es um Taijiquan geht, baue ich meinen Möglichkeiten entsprechend auf Authentizität, denn an der Quelle ist das Wasser immer am reinsten, aber Aufwärmen und Dehnen ist nicht Taijiquan.
Der Sinn ist in erster Linie, die Verletzungsgefahr zu reduzieren, die Beweglichkeit zu erhöhen und das Gleichgewicht zu fördern.
Krafttraining ist meiner Meinung nach kontraproduktiv, wenn ich davon ausgehe, dass dies Taijiquan-Anfänger lesen. Gleichzeitig ein Krafttraining oder einen Kraftsport und Taijiquan zu beginnen, halte ich für keine gute Idee. Wer hingegen bereits lange Taijiquan ausübt, wird wahrscheinlich kein Interesse mehr für Krafttraining aufbringen. Wenn hingegen jemand bereits länger ein Krafttraining ausübt, dem würde ich Taijiquan auf jeden Fall als Ergänzung empfehlen.

Es gibt Debatten, ob „Aufwärmen und Dehnen“ überhaupt gesund seien, doch da erinnere ich nur an sportliche Wettkämpfe und denke, dass die Profis bei Weltmeisterschaften und die Spitzensportler bei den Olympischen Spielen aus allen Sportarten bestimmt wissen was sie tun und auch gut beraten sind. Daher erübrigt sich für mich schon deshalb die Grundfrage, ob „Aufwärmen und Dehnen“ nötig und gesund ist.

Für Taijiquan gibt es zum Aufwärmen und Dehnen bestimmte Übungen, die besonders gut geeignet, also auf die Anforderungen im Taijiquan abgestimmt sind:

.) Gelenke bewegen:
Mit Kreisbewegungen in verschiedener Geschwindigkeit und wechselndem Radius die Gelenke bewegen, wobei besonderes Augenmerk auf die Gelenke der „äußeren Verbindungen“ gelegt wird, also auf Handgelenke, Ellenbogen, Schultern, Sprunggelenk, Knie, Hüfte, Becken und Hals.

.) Kniebeugen:

Dazu zuerst ein Zitat aus dem pdf von Artikel von Dr. Kurt A. Moosburger (Facharzt für Innere Medizin, Sport- und Ernährungsmedizin) zum Thema Kniebeugen

Immer wieder hört und liest man, dass man die Kniebeuge nur bis zu einem rechten Winkel im Kniegelenk machen dürfe und auf keinen Fall tiefer, weil das “schlecht“ für’s Kniegelenk sei. Die meisten Trainer, Mediziner und Sportwissenschaftler weisen immer wieder darauf hin. Aber stimmt das auch? Tut es nicht! Dagegen spricht nicht nur die Empirie im Kraftsport (Gewichtheben, Powerlifting), sondern auch die Biomechanik.

Kniebeugen sind nicht nur gut für die Beinbeuger und den großen Gesäßmuskel, sondern auch für den Lendenwirbelsäulenanteil des Rückenstreckers. Als Variationen nenne ich die ganz tiefe Hocke (Sitzen auf den Waden), bei nebeneinander liegenden Füßen, die mit der ganzen Fußfläche den Boden berühren sollen. Es erhöht die Beweglichkeit. Und die einbeinigen Kniebeugen (pistols), die gleichzeitig eine gute Gleichgewichtsübung darstellen.

.) Ausfallschritt (Gong bu) und tiefe seitliche Hocke (Pu bu)
Wie schon die Bezeichnungen andeuten, handelt es sich dabei schon um Stände im Taijiquan bzw. Wushu.
Gong bu – nach einem langen Ausfallschritt ist das Gewicht zu etwa 70% am vorderen Fuß. Die Hüftbeuger und Oberschenkelmuskulatur wird gestärkt und gedehnt und die Hüftgelenke (Kua) geöffnet. Mit einer Drehung um 90° kommt man in den
Pu bu – die Hüfte ist zur offenen Seite bzw. möglichst nach vorne gedreht. Beide Füße zeigen im rechten Winkel zur Mittellinie. Das vordere Bein ist durchgestreckt und der Schwerpunkt befindet sich auf dem hinteren Bein. Der Oberkörper ist möglichst aufrecht, also vertikal ausgerichtet und nun können auch noch die Zehen des vorderen Fußes aufgestellt werden, sodass nur mehr die Ferse den Boden berührt.

Gewichtsverlagerung auf das andere Bein ganz tief oder wenn einem das nicht möglich ist nach vorherigem aufstehen und wieder um 90° drehen, um den ersten Durchgang abzuschließen.

.) Schmetterling

Im Sitzen die Füße zum Körper her ziehen, sodass sich die Fußsohlen berühren und dann sanft mit den Knien Richtung Boden wippen.

.) Seitliche Rumpfbeuge
Schulterbreit aufstellen – Hände hoch (wie bei einem Überfall schön hoch strecken) – zur Seite beugen, sodass die Arme ungefähr eine Vertikale bilden; den Kopf und den nach unten hängenden Arm locker lassen und die gedehnte Seite entspannen; der Blick ist dabei nach oben gerichtet.

.) Zur Seite drehen
Im schulterbreiten Stand die Arme gerade nach vor strecken und dann den Oberkörper nach hinten drehen. Die Arme rotieren dabei, sodass die Handfläche der hintern Hand nach oben zeigt (der Blick ist auf diese Hand gerichtet) und die Handfläche des vorderen Armes ist vom Körper weg gerichtet.

.) Nach vorne fallen lassen
Hände hoch im schulterbreiten Stand – Arme beugen, sodass die Unterarme seitlich neben den Kopf nach hinten zeigen; Knie etwas beugen und dann den Oberkörper nach vorne fallen lassen. Rücken entspannen, in die Hocke gehen und langsam, Wirbel für Wirbel von unten her aufrollen – Hände hoch strecken, nach hinten beugen, die Arme seitlich im Bogen nach unten führen und in die Ausgangsstellung zurück kommen.

.) Dehnen im Sitzen

Im Sitzen zeigen beide Beine nebeneinander durchgestreckt nach vor. Man ergreift sich die Zehen und zieht den Oberkörper leicht nach vorne, wobei man abwechselnd versuchen kann den Rücken möglichst gerade zu halten oder einen runden Rücken zu machen.

.) Ein Bein abgewinkelt

Aus voriger Übung einfach ein Bein beugen, sodass der Oberschenkel ca. einen rechten Winkel bildet und das Knie wieder beugen und das Sprunggelenk ebenfalls. Dann den Ellbogen der Seite, wo das Bein gestreckt ist auf die Innenseite des Beines am Boden (oder in diese Richtung) bringen und mit der anderen Hand zu den Zehen des gestreckten Beines greifen. Den Oberkörper seitlich auf das gestreckte Bein legen, bzw. in diese Richtung sanft dehnen.

.) In der Grätsche nach vorne beugen
Sitzend die Beine grätschen und den Oberkörper langsam nach vor beugen;

Ähnliche Übungen können auch im Stehen durchgeführt werden, wobei sich Bäume oder Parkbänke oft als recht nützlich erweisen. Dehnungsübungen wie wir sie von Läufern her kennen, sind ebenfalls gut als Vorspiel zum Taijiquan geeignet.


Im Teil 2 schreibe ich mir noch etwas zu bestimmten Lockerungsübungen und Qigong zusammen, wobei ich die meisten Übungen hier auf diesem Notizblog schon einmal erwähnt habe.
Übernehme natürlich keine Haftung, falls sie sich zu diesen Übungen durch mich anregen ließen.

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